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3.4 Erklärungsmodell Autopoiesis

Abschließend wird die Autopoiesis nach Maturana betrachtet. Aus der Autopoiesis entwickelte Luhmann später seine soziologische Systemtheorie (vgl. z. B. Sta94), die hier nicht betrachtet wird, da sie unter heftiger Kritik10steht. (z. B. bei Büh87)

Prinzipiell lassen sich zwei Ausgangspunkte (Fis93, S. 9) für die Autopoiesis erkennen. Auf der einen Seite versuchte Maturana, zusammen mit seinen Kollegen (speziell Varela), die nach dem zweiten Weltkrieg entstandene Kybernetik11 auf die Biologie zu übertragen. Auf der anderen Seite soll die Autopoiesis als ein naturwissenschaftliches Erklärungsmodell der Erkenntnis fungieren. (vgl. Fis93) In diesem Rahmen soll sie klären, wie der Mensch zur Erkenntnis (Wissen) gelangen kann. Nach Maturana sind lebende Systeme stets autopoietisch. Dieser Aspekt der Autopoiesis ist an dieser Stelle nicht von Interesse.

Der Begriff Autopoiesis bedeutet soviel wie ,,Selbsttun`` oder ,,Selbstgestaltung``. Damit wird ein wesentlicher Aspekt der Autopoiesis angesprochen. Demnach dürfen nur Systeme als autopoietisch bezeichnet werden, die ihre Systemelemente selbst erzeugen. Alle Systemelemente müssen aus den vorhandenen Systemelementen entstehen. In diesem Zusammenhang spricht man von Zirkularität. Es werden keine Systemelemente aus der Umwelt in das System übernommen. Weiterhin müssen autopoietische Systeme abgeschlossen gegenüber der Umwelt sein. Damit ist gemeint, dass eine Strukturveränderung nur aus dem System selbst heraus entstehen kann. Nicht gemeint ist damit eine energetische oder informationelle Abgeschlossenheit gegenüber der Umwelt, denn Strukturänderungen auslösende Systemstörungen können durchaus durch Umwelteinflüsse erfolgen. Man bezeichnet diese Eigenschaft, dass eigene Zustände nur im System intern bestimmt werden, als Selbstreferentialität. Das System wählt durch die Festlegung der Systemgrenze den Umfang und die Art des Kontakts zur Umwelt. Diese Eigenschaft wird als strukturelle Koppelung bezeichnet und ersetzt die Input/Output Beziehung der Kybernetik. Aufgrund dieser Interpretation der Systemgrenze ist das System nicht fähig Zustandsänderungen der Umwelt wahrzunehmen. Auf der anderen Seite kann ein externer Beobachter keine Aussagen über die interne Organisation des autopoietischen Systems treffen. Man bezeichnet dies als operative Geschlossenheit. Von Außen kann lediglich eine Betrachtung der Input/Output Beziehung erfolgen. Welche internen Vorgänge für die Erzeugung eines Outputs bei einem bestimmten Input verantwortlich sind, ist nicht analysierbar. Das System entspricht damit einer Blackbox12.

Durch die operative Geschlossenheit und Selbstreferentialität autopoietischer Systeme ist eine gezielte Beeinflussung des Systems unmöglich. Da die Umwelt den Zustand des autopoietischen Systems nicht erkennen kann, kann die Umwelt nicht beurteilen, wie das System auf einen Umwelteinfluss, eine Störung, reagiert. Obwohl das System intern völlig deterministisch abläuft, verhält es sich nach Außen (scheinbar) nicht-deterministisch. (Flä98, S. 169ff)

Ein autopoietisches System kann deshalb als ,,selbstorganisierend, selbsterzeugend, selbsterhaltend und selbstreferentiell`` (vgl. Flä98, S. 163)13beschrieben werden, obwohl mit der Kybernetik eine mechanische Sichtweise14 die Basis bildete. Man spricht in der Autopoiesis von Selbstorganisation, da das autopoietische System spontan seinen eigenen Zustand an Randbedingungen (strukturelle Koppelung) anpassen kann.

Selbst die Autopoiesis nach Maturana steht unter Kritik, da das grundlegende biologische Experiment15 niemals vollständig nachvollzogen werden konnte. Auch erscheint die Möglichkeit von Selbstreferentialität bei gleichzeitiger struktureller Koppelung als eine willkürliche Festlegung. Dennoch hat die Autopoiesis im Bereich der Biologie und der Soziologie den Gedanken der Selbstorganisation etabliert. Eine Vielzahl von Managementpraktiken wurde von der Autopoiesis inspiriert.16

Der Bezug zur Emergenz ergibt sich, wenn man betrachtet, dass in einem autopoietischen System durch Selbsterzeugung und Selbstreferenz eine Vielzahl von Systemelementen organisiert werden und dabei in ihrer Gesamtheit höhere Eigenschaften hervorbringen. In der Theorie der Autopoiesis wird betont, dass in einem autopoietischen System neben den Systemelementen eine systemspezifische Organisation herrscht. Dabei geht man davon aus, dass einzelne Systemelemente austauschbar sind, solange die spezifische Organisation erhalten bleibt. Darin zeigt sich, dass das Systemverhalten nicht auf das Verhalten der einzelnen Elemente zurückgeführt wird, sondern dass neben den Systemelementen eine spezifische Organisation entsteht, die für das Systemverhalten genauso entscheidend ist. (Flä98, S. 173ff) Man kann deshalb davon ausgehen, dass autopoietische Systeme emergente Eigenschaften zeigen.


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Sebastian Stein 2004-08-30