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5.2.1 Managementtheorien

In der Managementtheorie ist allgemein ein Wandel festzustellen. Es wird von einer ,,steigenden Komplexität, Diskontinuität und Dynamik`` (Wei01, S. 255) als Kernmerkmale der neuen Unternehmensumwelt gesprochen, wobei die Überlebensfähigkeit des Unternehmens von seiner permanenten Fähigkeit zur Weiterentwicklung abhängt, um sich der Umwelt anzupassen und diese aktiv zu gestalten. (vgl. Wei01, S. 255)

Diese Sicht kann mit einer Bevorzugung des Konstruktivismus gegenüber dem (kritischen) Rationalismus begründet werden. Der Rationalismus geht prinzipiell davon aus, dass es dem Menschen möglich ist, die Welt zu erkennen und zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden. Daraus können Theorien abgeleitet werden, die dann zu falsifizieren sind. (vgl. Wei01, S. 3ff) Der Konstruktivismus geht hingegen davon aus, dass jegliche Erkenntnis über die Umwelt lediglich eine Konstruktion des Menschen ist - der Mensch konstruiert Wahrheiten. Eine objektive Überprüfung von Wahrheiten ist nicht möglich, da wir dazu die Umwelt, wahrgenommen über die menschlichen Sinne, mit der Theorie vergleichen müssen. Es konnte in biologischen Experimenten21 gezeigt werden, dass Wahrnehmungen stets einer Verarbeitung durch das menschliche Gehirn unterliegen und somit subjektiv geprägt sind. Aus diesem Grund lässt sich keine objektive Wahrheit ableiten. (vgl. Wei01, S. 31ff) Trotzdem ist es nach Meinung der Konstruktivisten sinnvoll, Theorien aufzustellen. Eine Theorie ist dann von hoher Qualität, wenn sie sich in der praktischen Anwendung allgemein bewährt. Das bedeutet aber auch, dass Theorien immer nur unter bestimmten Randbedingungen gültig sind und somit für unterschiedliche Randbedingungen verschiedene Theorien existieren müssen. Dadurch entsteht eine Vielzahl von Theorien und die Existenz einer allgemeinen in jeder Situation gültigen Theorie wird verneint. Somit ist eine Vorhersage von Verhalten aufgrund einer Theorie nur unter engen Randbedingungen möglich, da schon leicht geänderte Randbedingungen eine eventuell neue Theorie erfordern (Nicht-Linearität).

Für die Praxis bedeutet dies, dass sich z. B. das Unternehmen ständig auf eine wechselnde Umwelt einstellen muss, indem es fortwährend seine Prozesse (seine internen Theorien) anpasst. Zur Bewältigung dieses Problems kann die Theorie der lernenden Organisation genutzt werden. Der eigentliche Lernprozess findet auf der Mikroebene statt. Die Mitarbeiter erkennen und bewältigen Probleme während der täglichen Arbeit. Aus der Sicht des Unternehmens ist nun sicherzustellen, dass diese neuen Erkenntnisse in das Wissen der Gesamtorganisation eingehen. Es sollen somit kleine Änderungen (Fluktuationen) im Wissen der Mitarbeiter zu einer Veränderung auf der Makroebene der Organisation führen. ,,Es ist nicht die Organisation, die bei der Betreuung von Projekten lernt. Vielmehr erweitern einzelne Mitarbeiter (...) ihren Wissensvorrat``. (Wei01, S. 255) Dies entspricht dem Gedanken der Emergenz. In diesem Zusammenhang kommt der Verwaltung des vorhandenen und gewonnenen Wissens im Rahmen des Wissensmanagement eine hohe Bedeutung zu. (vgl. GF03) Zahlreiche Autoren stellen dabei den Mitarbeiter als Wissensträger in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. (z. B. GF03, S. 167f) Indirekt vollzieht sich damit die Entwicklung hin zu einer menschlicheren Arbeitsperspektive im Gegensatz zum Taylorismus. (vgl. Sta99, S. 23ff) Dabei wird das Individuum als entscheidender Erfolgsfaktor für das Unternehmen begriffen.

Einen weiteren Lösungsvorschlag für ein dynamisches und sich diskontinuierlich veränderndes Unternehmensumfeld ist das virtuelle Unternehmen. Ein virtuelles Unternehmen ist der lose Zusammenschluss von verschiedenen Leistungserbringern, wobei für den Kunden dieser Zusammenschluss als Einheit auftritt. Diese Zusammenschlüsse sind meist kurz- oder mittelfristig ausgelegt sowie inhaltlich begrenzt. Zwischen den Partnern des virtuellen Unternehmens besteht kein juristischer Zusammenschluss im Sinne einer juristischen Gesellschaft. Dabei geht ein Unternehmen mit einer Vielzahl von anderen Unternehmen eine Kooperation ein, es entsteht ein virtuelles Unternehmensnetzwerk. Dem virtuellen Unternehmen ist es dadurch möglich, verschiedenste Kundenwünsche durch Rückgriff auf die Ressourcen im Unternehmensnetzwerk zu realisieren und somit im dynamischen Markt zu bestehen. Auch hier steht wiederum die Vorstellung, dass durch ein Kooperationsnetzwerk von Einzelindividuen eine Gesamtleistung hervorgebracht werden kann, die sich nicht auf die Einzelleistungen reduzieren lässt. (vgl. z. B. Bul96, S. 52ff)

Neben einer Vernetzung von externen Spezialanbietern im virtuellen Unternehmen, kann dieses Prinzip ebenfalls auf ein Unternehmen selber angewendet werden. Dazu bildet man im Unternehmen eine Vielzahl von Spezialteams mit großen Handlungsspielräumen, die jeweils auf wenige Aufgabenbereiche fokussieren. Zur Bewältigung eines komplexen Problems werden mehrere Spezialteams miteinander vernetzt. Dieser Ansatz wird als fraktales Unternehmen bezeichnet. (vgl. z. B. Bul96, S. 49ff) Der Begriff Fraktal steht dabei für die Selbstähnlichkeit, ,,d. h. jedes Bruchstück (Fraktal) eines Ganzen enthält wiederum die Gesamtstruktur des Ganzen``. (Bul96, S. 49)22 Dabei wird bewusst auf eine Selbstorganisation der Fraktale gesetzt (vgl. War02, S. 270ff), indem sich die einzelnen Fraktale zur Lösung des komplexen Problems selbständig gruppieren sollen. (Bul96, S. 50)

Ein weiteres Konzept, das Ende der 80er Jahre in Erscheinung trat (vgl. WJR94), ist die schlanke Produktion (Lean Production). Dieses Konzept wurde später zum schlanken Management (Lean Management) weiterentwickelt. Die Ursprünge liegen in der Untersuchung der weltweiten Automobilproduktion und den teilweise gravierenden Produktivitätsunterschieden zwischen den einzelnen Produzenten. In der Untersuchung wurde festgestellt, dass die japanischen Automobilhersteller wesentlich effizienter produzieren, indem sie sich von einer reinen Massenfertigung abgewandt haben. Tatsächlich fand eine Kombination aus Massenfertigung und Individualfertigung statt, um die Vorzüge beider Produktionsmethoden zu nutzen. Im Lean Production findet eine Verlagerung der Verantwortung hin zu denen statt, die die eigentliche Wertschöpfung erbringen. In der Automobilproduktion sind dies die Techniker am Fließband bzw. den Fertigungsstationen. Damit diese Mitarbeiter ihrer Verantwortung gerecht werden können, findet ein aktiver Ausbau der Mitarbeiterfähigkeiten, z. B. durch Ausbildung, statt. Die Arbeit erfolgt in Teams. Innerhalb der Teams findet eine weitgehende Selbstorganisation in Hinblick auf die zu erledigende Arbeitsaufgabe statt. Zur Absicherung wird ein dichtes Netz aus Qualitätskontrollen und ,,proaktiven Qualitätszirkeln``23 gebildet. Die Teams arbeiten möglichst auf engem Raum, damit alle Teams Probleme bei anderen Teams bemerken und bei der Lösung aktiv unterstützen können. Weiterhin wird der Kunde partnerschaftlich in den Produktionsprozess mit einbezogen. Erst auf seinen Auftrag hin findet die Fertigung statt. Das Management sorgt für die nötigen Rahmenbedingungen, es greift selten direkt ein. Die mittleren Führungsebenen können wesentlich reduziert werden, da die Entscheidungen direkt auf den unteren Ebenen getroffen werden. Im Lean Production bzw. Lean Management wird somit versucht, Selbstorganisation zu initiieren und anzuwenden.

Alle genannten neuen Betrachtungsweisen zur Führung und Gestaltung eines Unternehmens können mit den Begriffen agil, antizipativ und adaptiv (nach Mil02, S. 9f) zusammengefasst werden. Dabei versteht man unter Agilität ,,Schnelligkeit, Beweglichkeit und Flexibilität - für kurze Reaktionszeiten auch bei unerwarteten Hindernissen.`` (Mil02, S. 9)24 Unter antizipativ wird das Erkennen der aktuellen Situation und deren wahrscheinliche Weiterentwicklung verstanden. Dies bedeutet eine Abkehr von umfangreicher Planung hin zu einer Beurteilung der nötigen Mittel anhand der aktuellen Situation. (vgl. Mil02, S. 10)

Die mit dem Begriff adaptiv angesprochene Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an eine sich ändernde Umwelt, kann prinzipiell über zwei Maßnahmen erfolgen. Zum einen kann sich die interne Struktur des Unternehmen ändern, eine Änderung nach Außen ist nicht sichtbar. Dem entgegengesetzt ist die Änderung der Schnittstellen des Unternehmen zur Umwelt unter Beibehaltung der inneren Struktur des Unternehmens. Die Stabilität beider Bereiche während einer Anpassung ist nicht möglich. Deshalb kann nur eine Anpassung durch die Änderung der inneren Struktur erfolgen, da das Unternehmen nach Außen stabile Schnittstellen anbieten sollte. Um eine ständige Anpassung, beispielsweise realisiert über die weiter oben diskutierte lernende Organisation, des Unternehmens zu ermöglichen, bedarf es deshalb der Lernfähigkeit aber auch der Lernbereitschaft im Unternehmen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Vielzahl von neuen Ideen in der Managementlehre entstanden ist. Den meisten liegt eine Abkehr von dem mechanischen Weltbild nach Newton zugrunde, hin zu einer Sichtweise zwischen Nicht-Linearität, Nicht-Determinismus und Selbstorganisation. Dies ist im Ansatz Umsetzung von Emergenz.


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Sebastian Stein 2004-08-30