Während Extreme Programming konkrete Aktivitäten
vorgibt, sind die Methodiken der Methodikfamilie Crystal wesentlich abstrakter. Crystal,
entwickelt von Alistair Cockburn (vgl. Coc03,Coc02), versteht sich als eine
Familie von Methodiken. Zentraler Ansatzpunkt lautet, dass Menschen
und Projekte unterschiedlich sind und dass es deshalb
unterschiedlicher Methodiken bedarf. Deshalb nimmt Crystal eine
Klassifizierung von Projekten vor (siehe Abbildung 1346 auf Seite ) und bietet entsprechende Methodiken
für die einzelnen Klassen an. Laut Crystal wird ein Projekt
von folgenden drei Variablen charakterisiert (Coc03, S. 218):
Die Begründung für dieses Vorgehen liegt in mehreren Punkten. Eine Steigerung der Mitarbeiterzahl erhöht den Kommunikationsaufwand. Auf dieses Problem hat bereits Brooks (vgl. Bro01b) aufmerksam gemacht. Dabei übersteigt ab einer bestimmten Teamgröße der Kommunikationsaufwand, verursacht durch einen weiteren Mitarbeiter, den Gewinn an Arbeitskraft durch diesen Mitarbeiter. Eine Verdoppelung der Mitarbeiter führt nicht zu einer Verdoppelung der Arbeitskraft. Cockburn (Coc03, S. 107ff) zeigt weiterhin, dass direkte Kommunikation von Mensch zu Mensch wesentlich effektiver ist, als indirekte Kommunikation. Tatsächlich ist eine direkte Kommunikation nur bei bis zu zehn Mitarbeitern im Projektteam möglich. Da Extreme Programming ausschließlich auf direkter Kommunikation basiert, kann es kaum in Teams größer als zehn Mitarbeiter umgesetzt werden.
Ist das Ergebnis eines Projektes kritisch für das Fortbestehen des Unternehmens, müssen andere Verfahren verwendet werden, als wenn das Projekt weniger kritisch ist. Unter Prioritäten versteht Cockburn z. B. gesetzliche Auflagen. So kann es sein, dass bestimmte Artefakte durch den Auftraggeber oder durch Randbedingungen erforderlich sind. Dann muss die verwendete Methodik die Erstellung der Artefakte sicherstellen.
In der Methodikfamilie Crystal wird davon ausgegangen, dass die Konzentration auf Fähigkeiten der Mitarbeiter, Kommunikation und Gemeinschaft in einem Projekt effektiver ist, als die Konzentration auf vorgeschriebene Prozesse. Daraus leiten sich folgende Grundwerte ab (Coc03, S. 267):
Anhand dieser Darstellung wird ersichtlich, dass die Methodikfamilie Crystal sehr abstrakt ist. Für die konkrete Umsetzung wurden je nach Einstufung des Projektes verschiedene konkrete Ausprägungen entwickelt. Die einfachste Ausprägung für kleine nicht kritische Projekte (die Zellen C6, D6 und E6 in Abbildung 13) ist Crystal Clear. (vgl. Coc02) Für Crystal Clear ist erforderlich (Coc02, S. 258):
Im Vergleich zu Extreme Programming fällt auf, dass Crystal Clear weniger konkrete Forderungen stellt. Lediglich die Forderung von Dokumentation geht über den Umfang von Extreme Programming hinaus. Es werden keine Aussagen über die Programmierung (Technologie, Programmiersprache, Standards, Programmieren in Paaren, usw.) oder den Umfang von Tests getroffen. Dies liegt im Ermessen des Teams.
Für komplexere Projekte stehen eine Vielzahl von weiteren
Ausprägungen der Methodikfamilie Crystal zur Verfügung.
Diese sind wesentlich umfangreicher, da eine größere
Anzahl von Mitarbeitern koordiniert werden muss. Auch in diesen
Ausprägungen werden die drei oben genannten Grundwerte
umgesetzt. Cockburn betont, dass mit zunehmender
Projektgröße die Formalien zunehmen
müssen, da eine direkte Kommunikation im
ganzen Projektteam aufgrund des exponentiell steigenden
Kommunikationsaufwandes nicht möglich ist. So bestehen
z. B. bei rein direkter Kommunikation in einem Team mit sechs
Mitgliedern 15 Kommunikationswege, wie in Abbildung 14 Teilbild a) auf Seite nachvollzogen werden kann. In
Abbildung 14 Teilbild b) wurde das
Projektteam in zwei Teilteams untergliedert. Eine Kommunikation
zwischen beiden Teilteams findet über jeweils eine Person aus
den Teilteams statt. Durch diese Maßnahme
können die Kommunikationswege mehr als halbiert werden.
Allerdings wird die Kommunikation für die einzelnen
Teammitglieder, wenn sie mit einem Mitglied aus dem anderen
Teilteam kommunizieren müssen, erschwert, da eine Vermittlung
über die Verbindungspersonen notwendig ist.
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Trotzdem bleiben große formalisierte Projekte laut
Cockburn agil, wenn sie die auf Seite genannten drei Grundwerte
umsetzen. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass die
Einführung von Formalien nicht
Agilität verhindert.